Ein Heulen im Wind

4 KILOMETER SÜDLICH VON HALIDON
GLENGARRY
REGION SKYE, VEREINIGTES COMMONWEALTH
17 APRIL 3056

Sergeant Glenn Kellum hielt seine Zähne gerade so weit auseinander, dass seine Zunge zwischen ihnen zum Liegen kam. Das weiche Gewebe dämpfte einen Teil der Vibrationen des großen Jones-Diesel Antriebs und der Hubventilatoren des Condor Schwebepanzers, aber seine Haut war immer noch rau vom mit Segeltuch bespannten Sitz. Selbst nach über einem Jahrzent in Hoverfahrzeugen, konnte er nicht vier Stunden lang Vollgas ohne Nebenwirkungen aushalten.
Unruhig schaukelte er so weit nach vorne, wie es sein Haltegurt zuließ, so dass sein Helm fast mit dem kleinen Sichtleiste in Berührung kam.
Die Sehnen in seinem Nacken und seinen Schultern knackten. Er berührte die Funksprechanlage. „Treibstoff?“
„Noch eine Stunde – zwei, wenn wir langsamer machen“, sagte der Fahrer des Condor, Corporal Gomez. Die Fahrerkabine lag zwei Meter weiter vorne, hinter einem Schott und mit einem Sprengstoffvorhang verkleidet. Kellum wusste, dass Gomez mehr litt als er selbst.
Die Kommandantenkuppel befand sich im Turm, und der schwere Metallguss dämpfte eine Menge der Vibrationen.
„Wir werden nicht langsamer“, murmelte Kellum. „Tran – irgendwas?“
Der Funktechniker in den Eingeweiden des Condor quittierte die Frage mit einem Nein. „Wir werden auf keinen Fall langsamer“, murmelte Kellum.
„Cannes?“
„Nichts, TK“, sagte der Richtschütze neben ihm.
Der Richtschütze und der Panzerkommandant teilten sich die Turmkuppel. Bei kleineren Panzern ließ die Legion normalerweise den TK, Tankkommandeur, die Kanone bedienen, aber ein Condor hatte einen eigenen Richtschützen. Cannes war seit sechs Monaten in der Legion und kam aus Coltbridge. Er hatte sich ein wenig darüber geärgert, dass er Halidon zugeteilt worden war, als die Skye Guards Coltbridge angriffen, aber die Landung der Separatisten hier hatte ihn zum Schweigen gebracht.

Die Ankunft einer Freies Skye-Flotte hatte Glengarry auf den Kopf gestellt. Die Landbesitzer, die Söldner der Gray Death Legion, hatten sich der Landung der Separatisten von Anfang an widersetzt, selbst nachdem dieser Bastard DeVries versucht hatte, die Macht zu übernehmen und Major de Villar getötet hatte.
Der Junge des Colonels leistete bisher gute Arbeit, indem er die Landung von der Freien Skyes verlangsamte, indem er die Legions-‚Mechs auf den Magnetschwebebahnen hin und herschob. Kellum sah sich die Landschaft erneut an.

Das ist es, was ich hier draußen mache. Leutnant Zappirellis Zug hatte die Aufgabe, die Landung in Halidon lange genug zu verzögern, damit die reagierenden ‚Mech-Kompanien hierherkommen konnten. Vier Blower gegen zwei ‚Mech-Kompanien.
Der Saracen von Feldwebel Wilke war als Erstes gefallen, seine Stahlschürze war von der Autokanone des führenden Cataphract zerstört worden.
M’Dahlias Scimitar starb bei dem Versuch, das Feuer der Separatisten auf sich zu lenken, während Wilkes Besatzung sich absetzte. Emma Watts‘ Drillson befand sich im Osten, wo sie eine Staubwolke aufwirbelte, um einige Mechs vom Bahnhofsgelände wegzulocken. Dort, wo die Legion-‚Mechs auftauchen würden.
Irgendwann einmal.
„Kontakt!“ rief Cannes.
Ein roter Punkt erschien auf Kellums Bildschirm, als ein separatistischer Vindicator über den Hügel kam. An seiner Brust öffneten sich die Luken und fünf Langstreckenraketen schossen auf den Condor zu, aber Gomez wich ihnen aus, indem er Vorschub gab und zur Seiten raste. Cannes grunzte, als er die Kontrollen betätigte und die große Whirlwind-Autokanone zum Einsatz brachte. Der Turm dröhnte mit dem Blam-Blam-Blam der rotierenden Kartusche und fügte dem Lärm des Gebläses seine eigenen erschütternden Vibrationen hinzu.

Kellum ignorierte es und beobachtete, wie die Geschosse über die Brust des Vindicators zogen.
„Ziel!“, rief er. „Gomez, los! Bring uns hier raus.“
„Jede Legion-Einheit auf diesem Kanal, Kontakt!“ rief Tran in sein Funkgerät.
Er gab die Koordinaten durch. Ein Teil von Kellums Verstand hörte zu, aber es kam keine Antwort.
Jede Übung der Legion bezog stets alle Waffengattungen mit ein – Grayson Death Carlyle hatte Pionierarbeit im Bereich kombinierte Streitkräfte geleistet, während der Rest der Inneren Sphäre noch BattleMechs für alles nutzte. Sein Zug – sein Blower – sollte hier draußen eigentlich nicht ganz allein sein.
„Und die verdammten Skye Guards sollten auch nicht auf uns schießen,“ sagte Cannes, beugte sich vor und hielt die Hand über sein Helmmikrofon.
„Reißt dich zusammen,TK!“

Habe ich das laut gesagt?
Kellum kniff für einen Moment die Augen zusammen und schaute dann auf seine Bildschirme. Die Anzeige für den Vindicator war immer noch sehr dicht – nicht so rasch, wie der Condor sich bewegen konnte, aber er konnte die Hügel und Felsen überwinden, um die der Schwebepanzer herumfahren musste. Weitere Signale – oder besser gesagt Phantome, die der Condor-Computer nicht identifizieren konnte – verschwammen auf dem Bildschirm hinter dem Vindicator.
„Tran!“ bellte Kellum. „Irgendetwas von Watts?“
„Nichts, TK!“
Der Geschützturm vibrierte, als Cannes die Whirlwind auf das Heck des Condor zusteuerte.
Ein dumpfes Scheppern kündigte das Laden einer neuen Kassette mit Munition an. Kellum berührte eine Schaltfläche und verband seinen Bildschirm mit Cannes‘ Geschützbildschirm. Die markante Kopfpanzerung der Vindicator erschien über dem Kamm eines Hügels. Cannes zog an den Kontrollen und schwenkte den Lauf der Autokanone nach links und oben. Der Gongschlag der Whirlwind füllte den Geschützturm erneut. Die Geschosse explodierten über dem linken Arm des Vindicators und schmetterten Panzerplatten auf den Boden. Kellum fletschte grinsend die Zähne. Der rechte Arm des Vindicators hob sich über den Rand des Hügels.


-blau-weißes Licht-

-schnapp-boom-

Die Haare auf Kellums Armen und im Nacken stellten sich auf, als der Condor schwankte. Er rief auf seinem Bildschirm ein Schadensdiagramm auf, aber es waren keine neuen roten Markierungen auf der Panzerung des Condor zu sehen. Die PPC hatte ihn nur ganz knapp verfehlt, und die Explosion, die den Boden neben dem fahrenden Panzer aufgerissen hatte, hatte ihn so erschüttert, als ob sie ihn direkt getroffen worden wären. Kellum atmete aus – und wurde in seine Gurte gepresst, als der Condor auf die andere Seite schlingerte.
„Gomez!“
„ Nicht meine Schuld!“, schrie der Fahrer.
Ein Kreischen ertönte, als die Schürzen über den Boden schleiften, und Kellum spürte, wie der Panzer nach links taumelte und langsamer wurde.
„Er hat uns gegen einen Felsbrocken-“
„Bring. Uns. In Bewegung.“ Kellum presste es heraus.
„Kann ich nicht…“

Diesmal traf die PPC der Vindicator, riss die Panzerung am Heck der Condor weg und zerstörte den Motor. Das Heulen der Hubventilatoren erstarb sofort und die Whirlwind, brach mitten beim Feuern ab. Cannes fluchte und knallte seinen Fäuste gegen die Konsole. Sein Fuß stampfte immer wieder auf die Ringauslösung.

„TK!“ rief Tran.

„Alle raus!“ erwiderte Kellum. Seine Hände zuckten an das Lukenrad über seinem Kopf. Die Lichter im Geschützturm flackerten und erloschen.
„Jetzt!“ Die Luke bewegte sich nicht.

„Es ist Watts!“ meldete Tran. „Sie sagt, die ‚Mechs sind hier.“

„Einer hat uns gerade getötet, Pendejo“, spuckte Gomez.
Seine Stimme hallte durch das Innere des Panzers.

„Nein, die Legions-‚Mechs!“

Kellum zog seine Handfeuerwaffe und schlug den Kolben der Pistole gegen die Luke. Das Rad bewegte sich einen Zentimeter oder so. Er drehte es, klappte die Luke auf
– Sofort quoll Rauch in den Turm.
„Vielleicht haben sie mehr Glück“, sagte er und zog sich aus dem Turm heraus.
Er sah sich nach der Vindicator um, aber dieser machte sich bereits den Weg zurück, den er gekommen war, und begann zu rennen.

„Oder auch nicht…“

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